Verbesserungen für das Bundeswahlgesetz

[Überhangmandate]

Minimallösung

  1. Verbindung aller Landeslisten einer Partei
  2. Oberverteilung mit einem Divisorverfahren
  3. Unterverteilung nach Sainte-Laguë
  4. Kompensation interner Überhangmandate
  5. Neuformulierung der §§ 6 und 7 BWahlG
  6. Zusätzlich: Abschaffung der weitgehend wirkungslosen Erststimme

1. Alle Landeslisten einer Partei gelten als verbunden.

Bei der Berechnung der einer Partei zustehenden Sitze nach Zweitstimmen werden derzeit die Zweitstimmen aller Landeslisten einer Partei zusammengerechnet (verbundene Landesliste) – es sei denn die Landesliste erklärt ihren Austritt aus dem Verbund. Es gibt aber keinen ersichtlichen Grund, der die Möglichkeit einer Landesliste, aus dem Verbund auszuscheren, rechtfertigt. Denkbar wäre eine (wahlmanipulative) Strategie, die darauf zielt, noch mehr Überhangmandate zu erlangen. Im Sinne des Gesetzes sollte mit „Partei“ und mit „verbundener Landesliste“ immer dasselbe gemeint sein.

2. Die Oberverteilung erfolgt mit einem Divisorverfahren (z. B. Sainte-Laguë).

Die Verwendung des Divisorverfahrens mit Standardrundung (Sainte-Laguë) entspricht einer Empfehlung des Bundeswahlleiters und des Bundesministerium des Innern. Hervorgehoben werden soll, dass das Verfahren der Oberverteilung nicht zwangsläufig dasselbe Verfahren wie die Unterverteilung sein muss (es soll aber betont werden, dass Punkt 4 entscheidend ist).

Am 24. Januar 2008 beschloss der 16. Deutsche Bundestag in seiner 139. Sitzung (BT-Plenarprotokoll 16/139, S. 14670 B–14670 C), für die Oberverteilung der Sitze auf die Parteien das Verfahren nach Hare/Niemeyer durch das Verfahren nach Sainte-Laguë zu ersetzen. Diese Änderung trat am 21. März 2008 in Kraft.

3. Die Unterverteilung erfolgt nach dem System Sainte-Laguë.

Das Verfahren Sainte-Laguë ist für die Anwendung bei der Bundestagswahl dem Verfahren nach Hare/Niemeyer überlegen.

Das System Hare/Niemeyer ist vor allem dann als Sitzzuteilungsverfahren ungeeignet,

Eine Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze bzw. eine Reduzierung der Zahl der Parteien(-listen) kann dazu führen, dass eine Partei – trotz der zusätzlich zu verteilenden Sitze – nun weniger Sitze zugeteilt bekommt. Dies ist besonders dann nicht zu rechtfertigen, wenn diese Änderungen gerade Folge eines besseren Wahlergebnisses dieser Partei ist, also z. B. bei einem Sieg im Wahlkreis gegen einen Einzelbewerber oder wenn eine andere Partei unter eine Sperrklausel gedrückt wird.

Das System Sainte-Laguë ist wie Hare/Niemeyer unverzerrt, d. h., große Parteien (Listen) haben dadurch weder einen Vorteil (wie bei d’Hondt) noch einen Nachteil. Es minimiert den relativen quadratischen Fehler bei der Mandatsberechnung. Es bietet sich damit gerade für die Unterverteilung auf Landeslisten einer Partei, die ja möglichst gleich behandelt werden sollten, an. Genauso gut ist es für eine Oberverteilung geeignet, bei der analog § 6 Abs. 3 BWahlG eine Mehrheitsklausel eingeführt werden kann.

Am 24. Januar 2008 beschloss der 16. Deutsche Bundestag in seiner 139. Sitzung (BT-Plenarprotokoll 16/139, S. 14670 B–14670 C), auch für die Unterverteilung der Sitze der Parteien auf deren Landeslisten das Verfahren nach Hare/Niemeyer durch das Verfahren nach Sainte-Laguë zu ersetzen. Diese Änderung trat ebenso am 21. März 2008 in Kraft.

4. Kompensation interner Überhangmandate (wichtigster Punkt)

Interne Überhangmandate werden intern kompensiert. Dies kann man dadurch erreichen, dass

  1. überhängende Direktmandate nicht zugeteilt werden oder
     
  2. der interne Überhang bei der Verteilung der Listenmandate einer Partei berücksichtigt wird
    d. h., die Landeslisten der Partei erhalten nach Zuteilung aller Direktmandate nur solange Listenmandate zugeteilt, wie der Gesamtpartei als solcher noch Sitze zur Verfügung stehen. Im Vergleich zum jetzigen Verfahren würde damit die Landesliste mit dem schwächsten Anspruch auf den letzten Sitz diesen an die überhängende Landesliste verlieren.

Im ersten Fall überwöge das Prinzip des parteiinternen Landesproporz, im zweiten Fall das Prinzip Personenwahl.
Gegenwärtig hat allerdings der parteiinterne Landesproporz eine höhere Priorität als der Proporz der Parteien untereinander, mit der Konsequenz negativer Stimmen.

5. Die Paragraphen 6 und 7 BWahlG werden neu und verständlich formuliert.

Die verschachtelte Struktur des Bundeswahlgesetzes – bei der § 7 bestimmt, wie § 6 zu interpretieren ist – ist sehr unanschaulich und unnötig kompliziert. Besser wäre eine getrennte Formulierung von Ober- und Unterverteilung.


6. Zusätzlich: Abschaffung der weitgehend wirkungslosen Erststimme

Die Erststimme ist weitgehend wirkungslos, um Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Bundestag auszuüben. In den wenigen Fällen, in denen durch die Erststimme mandatsrelevante Änderungen erfolgen, wird in der Regel ein (im Zweifel unbekannter) Listenkandidat einer Partei durch einen Direktkandidaten derselben Partei ersetzt. Teilweise wird auch kritisiert, dass Nicht-Zweitstimmenwähler einer Partei damit – in den wenigen Erfolgsfällen – Einfluss auf die personelle Zusammensetzung von deren Abgeordneten haben. Eine Reduzierung der Stimmenzahl auf eine Stimme sowohl für den Wahlkreiskandidaten als auch die Landesliste einer Partei würde die Möglichkeit eines Stimmensplittings zur Schaffung von überhängenden Direktmandaten beseitigen.

Dabei würde sich allerdings auch die bestehende – wenn auch nur sehr geringe – Möglichkeit des Wählers, personalisierend auf die Auswahl der Bundestagsabgeordneten einzuwirken, verringern. Einen wirklichen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung gäbe es etwa bei offenen Listen, wie beispielsweise bei Kommunalwahlen in Bayern, Niedersachsen oder – auch in Verbindung mit Mehrmandatswahlkreisen – der Bürgerschaftswahl in Hamburg (nach dem volksbeschlossenen Bürgerschaftswahlgesetz) oder beim STV (single transferable Vote) System, einer echten Verknüpfung von Verhältniswahl und Persönlichkeitswahl.



von Martin Fehndrich und Matthias Cantow (August 1998, letzte Aktualisierung: 20.04.2008)