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31.08.2008

Briefwahl nun ohne Hinderungsgrund möglich

Bundestag ändert Wahlgesetze – Teil 2

Neben den bislang berichteten und weiteren Änderungen im Wahl- und Abgeordnetenrecht beschloss der der Deutsche Bundestag zu Beginn dieses Jahres weitgehende Änderungen der Regelungen zur Briefwahl bei Bundestags- und Europawahlen. Ein Wahlberechtigter kann nun zur Beantragung der Briefwahl nicht nur auf die Glaubhaftmachung der Gründe verzichten, die ihn an der Urnenwahl hindern, er muss auch überhaupt keine mehr haben. Die bisherige Notwendigkeit eines solchen Grundes strich der Deutsche Bundestag mit einer Änderung von § 17 Abs. 2 Bundeswahlgesetz (BT-Drs. 16/7461).

Änderung des Bundeswahlgesetzes durch Gesetz vom 17. März 2008 (BGBl. I S. 394)
Alte Fassung
(Gültig bis 20.03.2008)
Neue Fassung
(Gültig ab 21.03.2008)
§ 17 Abs. 2 Bundeswahlgesetz
Ein Wahlberechtigter, der verhindert ist, in dem Wahlbezirk zu wählen, in dessen Wählerverzeichnis er eingetragen ist, oder der aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund in das Wählerverzeichnis nicht aufgenommen worden ist, erhält auf Antrag einen Wahlschein. Ein Wahlberechtigter, der im Wählerverzeichnis eingetragen ist, oder der aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund in das Wählerverzeichnis nicht aufgenommen worden ist, erhält auf Antrag einen Wahlschein.

Nach der alten Rechtslage erhielt ein Wahlberechtigter einen Wahlschein konkret nur, wenn er sich aus wichtigem Grunde am Wahltag während der Wahlzeit außerhalb seines Wahlbezirks aufhielt, er seine Wohnung in einen anderen Wahlbezirk verlegte und nicht in das Wählerverzeichnis des neuen Wahlbezirks eingetragen worden war oder er aus beruflichen Gründen, infolge Krankheit, hohen Alters, eines körperlichen Gebrechens oder sonst seines körperlichen Zustandes wegen den Wahlraum nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten aufsuchen konnte (§ 25 Abs. 1 BWahlO). Diese Gründe waren gemäß § 27 Abs. 2 BWO glaubhaft zu machen.

Gefährdung der Grundsätze der freien und geheimen Wahl?

Die Briefwahl schränkt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die freie und geheime Wahl ein. Dies wird nach Meinung des Gerichts allerdings durch die bessere Durchsetzung der Allgemeinheit der Wahl gerechtfertigt. Die Richter sahen jedoch im Beschluss vom 24. November 1981 (BVerfGE 59, 119) die Gefahr des Missbrauchs und stellten die Briefwahl unter eine stete Beobachtung durch den Gesetzgeber:

„Treten dabei Mißbräuche zutage, die geeignet sein können, die Freiheit der Wahl oder das Wahlgeheimnis mehr als unumgänglich zu gefährden, so erwächst daraus die verfassungsrechtliche Pflicht, die ursprüngliche Regelung im Wege der Nachbesserung zu ergänzen oder zu ändern [...]“ (BVerfGE 59, 119 <127>).

Die in der Entscheidung angesprochene Briefwahlwerbung durch Parteienvertreter, denen zum Teil mehr als einhundert vollständige Briefwahlunterlagen ausgehändigt wurden, ist mittlerweile nicht mehr möglich.

Entwicklung der Wahlbeteiligung

Seit der Entscheidung des Gerichts im Jahr 1981 stieg der Briefwähleranteil jedoch deutlich: Während er 1980 bei 13,0 % lag, erhöhte er sich bei der Bundestagswahl 2005 auf 18,6 % (siehe auch: Entwicklung des Briefwähleranteils). In der Praxis wurde auf die Nennung oder die Prüfung eines konkreten Hinderungsgrundes verzichtet. Oft genug dürften dem Gang zum Wahllokal nicht etwa unzumutbare Schwierigkeiten, sondern lediglich eine gewisse Bequemlichkeit entgegen gestanden haben.

Anpassung an Praxis

Dass eine solche missbräuchliche Nutzung nicht nur in Ausnahmefällen vorkam, sahen auch die Koalitionsfraktionen in ihrem Gesetzentwurf vom Dezember des letzten Jahres (BT-Drs. 16/7461, S. 34): „Daher ist anzunehmen, dass die vermutete Appellfunktion der Begründungspflicht von den Wählern wohl noch in Einzelfällen, aber nicht mehr generell wahrgenommen wird, [...]“.

Auf die erkannte missbräuchliche Nutzung der Wahl per Brief reagierte der Deutsche Bundestag nun durch Streichung der Begründungspflicht und damit auch der bisher notwendigen Gründe. Einzig das Antragserfordernis bleibt bestehen, um „weiterhin den Ausnahmecharakter der Briefwahl beizubehalten und nach außen kenntlich zu machen“ (BT-Drs. 16/7461, S. 35).

Bewertung

Die Änderung der Briefwahlregelung durch den Deutschen Bundestag ist nicht geeignet, die früheren Missbräuche zurückzudrängen, sondern sie legalisiert diese. Gleichwohl erhöht die nun generelle Möglichkeit der Briefwahl die Gleichheit – weil jetzt alle Wähler gleich behandelt werden und so der Vorteil für unehrliche Briefwahlantragsteller entfällt – und der Allgemeinheit der Wahl: Nun können auch Wahlberechtigte per Brief wählen, die aus bisher nicht anerkannten Gründen der Wahl fernblieben, die etwa wegen ihres Misstrauens beim Einsatz von elektronischen Wahlgeräten in ihrem Wahllokal oder aus reiner Bequemlichkeit nicht zur Wahl gingen.

Wie sich die Änderung der Briefwahlregelung auf die Gewährleistung der Wahlgrundsätze und auf den Anteil der Briefwähler auswirkt, wird der Deutsche Bundestag wohl genau beobachten müssen. Kommt es zu Missbräuchen, kann dies zur Anfechtbarkeit kommender Bundestagswahlen führen.

Weitere Rechtsgrundlagen

Auszüge: Briefwahl in der Bundeswahlordnung
Alte Fassung Neue Fassung
(in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl. I S. 1376), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 27. März 2008 (BGBl. I S. 476)) (in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002 (BGBl. I S. 1376), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Bundeswahlordnung und der Europawahlordnung vom 3. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2378))
§ 25 Abs. 1 BWO – Voraussetzungen für die Erteilung von Wahlscheinen
Ein Wahlberechtigter, der in das Wählerverzeichnis eingetragen ist, erhält auf Antrag einen Wahlschein,
  1. wenn er sich am Wahltage während der Wahlzeit aus wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbezirks aufhält,
  2. wenn er seine Wohnung in einen anderen Wahlbezirk verlegt und nicht in das Wählerverzeichnis des neuen Wahlbezirks eingetragen worden ist,
  3. wenn er aus beruflichen Gründen oder infolge Krankheit, hohen Alters, eines körperlichen Gebrechens oder sonst seines körperlichen Zustandes wegen den Wahlraum nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten aufsuchen kann.
Ein Wahlberechtigter, der in das Wählerverzeichnis eingetragen ist, erhält auf Antrag einen Wahlschein.
§ 27 Abs. 2 BWO – Wahlscheinanträge
Der Antragsteller muss den Grund für die Erteilung eines Wahlscheines glaubhaft machen. Der Antragsteller muss Familiennamen, Vornamen, Geburtsdatum und seine Wohnanschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Ort) angeben.

von Martin Fehndrich und Matthias Cantow (31.08.2008, letzte Aktualisierung am 30.03.2009)